Nächster Halt: Phantásien!

Gedanken zur Inszenierung von Tom Brill

Die Unendliche Geschichte ist für mich ein Wunschstück gewesen. Kaum ein Buch hat mich in meiner Kindheit mehr fasziniert – und zugleich irritiert. Viele der Bilder haben mich damals überfordert, weil ich sie nicht verstand. Aber das Buch hat in mir nachgehallt.

Begreifen funktioniert mit Kopf oder Verstand. Doch Ende will bewusst nicht (nur) den Geist ansprechen, sondern vor allen Dingen das Herz.

„Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen“

– das ist der zentrale Satz aus seinem Buch Momo (1973). Als ich Die Unendliche Geschichte Jahre später erneut las, hatten die Bilder eine ganz andere Wirkung auf mich. Aber nachgehallt hat es erneut. Und zwar nicht nur auf der intellektuellen Ebene – die Ende gekonnt bespielen kann –, sondern vor allem auf der emotionalen. Natürlich hat mich auch der zentrale Gedanke der verbundenen Welten beschäftigt. In Zeiten, in denen Bilderfluten uns zum Kaufen von Waren bewegen wollen, in Zeiten, in denen wir von Lügen und falschen Versprechen überschwemmt werden, muss man sich selbst schützen, einen Zugang zu seinem ureigenen Phantásien finden – und im besten Fall dabei seinen „wahren Willen“ entdecken.

Mich hat immer beeindruckt, dass die Kindliche Kaiserin nie zwischen Gut und Böse unterschieden hat, weil beide Teile zu der Welt gehören. Weniger bewerten, weniger richten – stattdessen die Qualität der Dinge erleben. Ebenso hat mich beeindruckt, dass Bastian durch seine Reise im echten Leben verändert wurde. Dass die Phantasie nicht etwas ist, das weniger Wert hätte, sondern im Gegenteil: dass gerade die Phantasie der zentrale Antrieb für uns Menschen sein kann. Was für eine Perspektive in Zeiten wie diesen!

Phantásien ist für jede:n Reisende:n anders. Wie schafft man es, Bilder zu zeigen, die Raum für die eigene Vorstellung lassen?
Das war eine der Schlüsselfragen für die Inszenierung. Deswegen ist die Kulisse leer. Es gibt nur wenige Elemente – vieles müssen die Zuschauer:innen selbst hinzudenken. Nehmen wir ein Beispiel: Wie sieht der Glücksdrache Fuchur aus? Wie das Hollywood-Kuscheltier aus der von Ende stets scharf kritisierten Filmfassung? Wie in den großartigen Skizzen und Zeichnungen der vielen Buchausgaben? Oder doch ganz anders?
Wir wollen das nicht vorwegnehmen und bewusst Raum lassen. Wer denkt, dass das weniger aufwendig sei, irrt. Die Kostüme haben uns in diesem Jahr intensiv beschäftigt. Unsere Ressourcen sind als ehrenamtliche Gruppe begrenzt – umso wichtiger war es, gute Kompromisse einzugehen. Natürlich fließen in die Figuren die Vorstellungen der Schauspieler:innen und der Regie – aber es soll Raum für deine Phantasie bleiben.

Und dann: Licht. Und Musik. Sie sind bei unseren Inszenierungen immer wichtig, aber hier vielleicht so wichtig wie nie zuvor. Denn sie unterstützen die Gefühle der Bilder, die wir für euch entwickelt haben. Sie sprechen direkter mit eurer Phantasie, als es Worte je tun könnten.

Was ich mir wünsche? Dass alle einen phantastischen Abend haben – dass wir an diesem Abend alle unsere Kindliche Kaiserin finden.