Es ist schon beeindruckend, wie viel Literatur, Dokumentationen und Artikel es zur berühmtesten Schiffskatastrophe der westlichen Welt gibt. Warum eigentlich? Weder war der Untergang der Titanic das größte noch das spektakulärste Unglück.
Richtig, die Titanic war ein außergewöhnliches Schiff. Drei Schwestern sollten es sein – die Olympic, die Titanic und die Britannic – letztere sollte die Titanic noch einmal in Ausstattung und Features übertreffen. Es war die Kampfansage der Reederei „White Star Line“ an ihre Konkurrenz. Ein Linienschiff, einem schwimmenden Hotel gleich – was heute nahezu Standard in der Kreuzfahrt ist, war damals ein Paradigmenwechsel. Und sie war für ihre kurze Einsatzzeit das größte menschlich produzierte Objekt auf der Welt.
Viele weitere Superlative würden passen – aber all das rechtfertigt immer noch nicht ihren Mythos. Den versteht man erst dann, wenn man begreift, dass mit ihrem Untergang eine ganze Ära der Millionäre untergegangen ist: Denn die Jungfernfahrt war prominent besetzt, die Schifffahrt etabliert, und das Versprechen der Titanic (und ihrer Schwester-Schiffe) war – immer größer und besser!
Und dann ein Eisberg. Einsam und verlassen stellt er sich in der sternenklaren, dunklen Nacht dem Schiff entgegen, wird viel zu spät entdeckt, und eine Folge von falschen Kommandos besorgt den Rest: all die Träume müssen untergehen. 1.514 Personen starben, teils grausam im eiskalten Atlantik. 712 Menschen überlebten die Katastrophe und konnten berichten. Heldengeschichten entstanden, Gerüchte machten die Runde – der Untergang hat aufgrund der vielen prominenten Verstorbenen ein fulminantes mediales Echo ausgelöst.
Bis heute überleben diese Mythen, auch wenn viele sich in den Augenzeugenberichten nicht wirklich bestätigen lassen. Aber die Erzählung ist zu verführerisch: der menschengemachte Größenwahn zerplatzt an einem simplen Eisberg.
Wir wollen den Opfern dieser Tragödie nicht ungerecht werden. Wir wollen ihnen nicht, der Spannung und Unterhaltung wegen, Worte in den Mund legen, die sie (wahrscheinlich) nie gesagt haben. Und eigentlich wollen wir auch nicht noch einmal ein über 110 Jahre zurückliegendes Unglück historisch rekonstruieren – das haben viele vor uns wahrscheinlich besser gemacht.
Wir wollen die Metapher. Das, wofür die Titanic steht. Ihre Verbundenheit mit jenem unscheinbaren Eisberg, den sie gerammt hat. All die Absurditäten, die stattgefunden haben mögen (und vielleicht sogar haben), noch weiter zuspitzen, um uns vor Augen zu führen: Am Ende kann immer ein Eisberg warten.
Wie gehen wir in der Katastrophe um? Wer überlebt? Wer stirbt? Und wie? Als Metapher für all die unkontrollierten Krisen – vom Klimawandel bis hin zur boomenden KI-Industrie.
Also Fiktion. Pure Fiktion. Die Charaktere – inspiriert von historischen Personen – aber bewusst fiktiv. Keine echten Namen. Kein Vorgaukeln von Pseudo-Historie. Aus Respekt vor den Opfern und angesichts der Katastrophen, auf die wir mit „full steam ahead“ zurasen.
Das wird unsere Titanic. Grotesk. Absurd. Tragisch.
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