Hexenhammer

Claude Frollo, der erste Priester in Notre-Dame, verweist in unserem Stück auf den „Malleus Maleficarum“ – den „Hexenhammer“. Esmerlada wird im Verlauf des Stücks als Hexe verurteilt. Hexenverfolgung folgt der Systhematik von Verschwörungsgläubigen. Folgender spanneder Artikel aus der ZEITGeschichte 03/2020 gibt ein wenig Inside zu dem Thema Hexenverfolgung. Dabei ist so manche Parallele in unsere heutige Zeit insbesondere bei populistischen Äußerungen mehr als erschreckend.

Unholde trafen sich um Mitternacht auf einer abgelegenen Waldlichtung. In fliegender Eile kamen sie durch die Lüfte geritten, auf mit Salbe beschmierten Besen und Mistgabeln, auf Böcken und anderem Getier. Einige mutierten zu Bestien, andere waren ganz nackt. Gastgeber der höl­lischen Party war der Teufel. Er zeigte sich mal als stinkender Bock, mal war er halb Mensch, halb Tier, von Gold überzogen und flammenglühend, auf feu­rigem Stuhl. An seiner Seite thronte eine mit fal­schem Schmuck herausgeputzte Hexe.

Man ehrte den Teufel, indem man ihm den Hin­tern küsste. Schaurige Speisen standen zum Festmahl bereit: Kessel voller Kröten, Schlangen, verwesender Leichen Hingerichteter und Herzen ungeraufter Kinder. Einander den Rücken zugewandt, tanzten die Weiber zu unverständlichem, ohrenzerfetzendem Gesang. Man pflegte ungehemmten Sex unter aller Augen und feierte, Gott zum Hohn, eine Messe mit schwarzen, übel riechenden Hostien.

Diese Beschreibung eines Hexensabbats stammt aus der Abhandlung über die Unbeständigkeit der bösen Engel und Dämonen, die Pierre de Lancre, Mit­glied des obersten Gerichtshofes von Bordeaux, 1612 veröffentlichte. Den Stoff dazu hatte er während ei­ner Hexenjagd im Labourd, dem französischen Teil des Baskenlandes, gesammelt. 1609 war er von Kö­nig Heinrich IV. damit beauftragt worden, hier mir dem Übel der Hexerei aufzuräumen. Drei Priester, denen Bündnisse mit dem Teufel unterstellt wurden, und acht »Hexen« mussten den Scheiterhaufen be­steigen. Der im benachbarten spanischen Basken­land tätige Inquisitor Alonso Salazar y Frias, ein ent­schiedener Gegner des Hexenglaubens, berichtet sogar von 80 Hinrichtungen.

Der furchtbare Jurist Dr. de Lancre glaubte un­zweifelhaft an die Wirklichkeit dessen, was seine Opfer aussagten. Für ihn wie für fast alle seine Zeit­genossen waren Zauberer, Hexen und Teufel real existierende Wesen, die man keineswegs selten traf. Ein schwäbischer Chronist berechnete 1589 die Zahl der Teilnehmer eines Hexensabbats auf 29.400. Ein protestantischer Theologe kam auf eine wahrhaft gigantische Zahl von Teufeln: 2.665.866.746.664, mehr als zweieinhalb Billionen. Hätte es diese sata­nische Armee wirklich gegeben, es wäre die größte und gefährlichste Verschwörung aller Zeiten gewesen.

Man glaubte tatsächlich, die Hexen bildeten eine »Sekte«. Hexenprozesse hatten ihre Muster in hoch­mittelalterlichen Häresieverfahren. Ketzer waren aus Sicht der Kirche ja ebenfalls vom Teufel verführte Götzenanbeter, und man unterstellte ihnen ähnliche Delikte wie angeblichen Hexen und Hexern.

Europa führte einen erbitterten Kampf gegen das imaginäre Böse. Man warf den Angeklagten vor hätten mit dem Teufel einen Pakt geschlossen, der dann mit »Buhlschaft« besiegelt worden sei. Der Teufel sollte sich seinen Opfern in mannigfacher Ge­stalt nähern. Frauen verführe er bei Gelegenheit als charmanter Galan. Die Liebeslust werde durch den Umstand beeinträchtigt, dass Satans Glied eiskalt sei oder sich anfühle wie ein Stück Holz. Ein weiteres Delikt, das man den Hexen und Hexern neben der Teilnahme am Hexensabbat zuschrieb, war der Scha­denzauber gegen Mensch und Tier. Als ihr schlimms­tes Verbrechen jedoch galt die Absage an Gott und die Schändung seiner »Ehre«. Darin lag ein theologi­sches Motiv für die Gnadenlosigkeit, mit der gegen sie vorgegangen wurde. Der Zunder der Scheiterhau­fen war aus der Prophezeiung der Offenbarung des Johannes gemacht, Zauberer und Götzendiener würden ihr Ende in einem See von brennendem Schwefel finden.

Ihren Höhepunkt erreichten die Verfolgungen nach Anfängen im spätmittelalterlichen Alpenraum zwischen 1560 und 1660. Einige Prozesse forderten Hunderte oder gar Tausende Opfer, etwa in Loth­ringen, in den Territorien der Bischöfe von Köln, Mainz und Würzburg oder im Gebiet Berns. Fatal wirkte sich dabei das Fantasiegebilde des Hexensab­bats aus. Hatte die Justiz eine angebliche Hexe oder einen vermeintlichen Zauberer in ihren Fängen, wurden diese dazu aufgefordert, weitere Gäste der nächtlichen Gelage zu nennen. Gegen Halsstarrige half Folter: Wem der Streckgalgen die Gelenke aus­kugelt oder die Daumenschraube das Blut unter den Nägeln hervorquetscht, nennt alle Namen, die ihm einfallen. So wurden immer mehr Verdächtige vor den Richter gezogen. Man zwang sie, weitere Mit­glieder der Hexensekte zu »besagen«, die dann ihrer­seits den Folterknechten überantwortet wurden.

Duldete eine Obrigkeit Feinde Gottes, machte sie sich nach verbreiteter Meinung selbst schuldig und zog Gottes Zorn auf den Staat. Dieselbe Logik hielt dazu an, Ketzer wie Geschwüre auszubrennen aus dem reinen Leib der Christenheit. Und sie befeuerte die Religionskriege, die zur selben Zeit tobten, als die Hexenpaniken eskalierten. Die konfessionelle Kon­kurrenz nährte den Glaubenseifer und damit den Willen, die Feinde Gottes auszurotten. »Deutschland, so vieler Hexen Mutter!«, entfuhr es einem Zeitge­nossen der Prozesswelle zwischen 1626 und 1630, die einen Gipfel der Verfolgungen markiert. Endzeit­stimmung machte sich breit; an apokalyptischen Plagen herrschte ja kein Mangel. Immer wieder galloppierten die Reiter der Offenbarung – Teuerung, Hunger, Seuchen, Tod – durchs Land. Steuern fraßen vom Geld, das kaum mehr fürs Brot reichte. Der frühmoderne Staat brauchte jeden Heller, um Söld­ner und Bürokraten zu entlohnen, Schlösser zu bau­en, Feste zu feiern.

Ein weiterer Faktor war das Wetter. Seit etwa 1560 begannen die Durchschnittstemperaturen in Europa zu sinken. Harte Winter und verregnete, kalte Sommer häuften sich. Es war, wie man heute weiß, eine kritische Phase der sogenannten Kleinen Eiszeit, die schon die Agrardepression des 14. Jahr­hunderts bedingt und die Pestzüge um 1347/48 be­günstigt hatte. Die Fähigkeit, Wetter machen zu können, Hagelstürme etwa, traute man den Unhol­den von jeher zu. Weil man Hexen die Schuld am Misswachs auf den Feldern gegeben habe, »erhob sich das ganze Land zu ihrer Ausrottung«, vermerkte eine Trierer Chronik des späten 16. Jahrhunderts.

Tatsächlich kam die Initiative, gegen Hexen vor­zugehen, häufig »von unten«, aus Bauerngemeinden oder dem einfachen Stadtvolk. Am Anfang des Ver­fahrens stand oft ein kleineres oder größeres Unglück: Eine Kuh gab keine Milch, der Ehemann litt unter Impotenz, ein Kind starb. Als Täterin oder Täter wurden häufig Personen ausgemacht, die schon jah­relang im Verdacht gestanden hatten, mit dem Teufel im Bund zu sein. »Weise Frauen« und Heiler, die sich auf magische Riten verstanden, waren besonders gefährdet. Nicht wenige Angeklagte scheinen dem Bild der »Märchenhexe« entsprochen zu haben: Sie hatten physische Besonderheiten – Buckel, rotes Haar, Warze -, lebten allein und wurden in Beglei­tung einer schwarzen Katze gesehen. Irgendwann erstatteten Geschädigte Anzeige. Zeugen wurden aufgeboten, Indizien gesammelt. Das Verhängnis nahm seinen Lauf.

Schuld tragen zu müssen war das klassische Los der Hexen und Hexer, genauer: der monströsen Fi­guren, die sich die Fantasie tief in der menschlichen Psyche formte. Jede Gesellschaft braucht ihre Sün­denböcke. Waren es während der Pest von 1347/48  »die Juden« als angebliche Brunnenvergifter gewesen, übernahmen nun Hexen deren Part. Wolfgang Behringer, ein führender Hexenforscher, erinnert daran, dass sie zu allen Zeiten und rund um den Globus erschaffen wurden. Babylon und das antike Griechenland hegten ebenso Hexereivorstellungen wie die Navaho Amerikas, australische Aborigines oder die Inuit der Arktis. Noch in jüngster Vergangenheit wird aus Afrika vom Glauben an Hexer und Hexen und Lynchmorden an ihnen berichtet. Auch in den Köpfen mancher Europäerinnen und Europäer spuken sie bis heute.

Die Funktion der imaginären Monster gleicht den Segnungen von Psychopharmaka: Ihr eingebildetes Wirken erklärt, was sonst unerklärbar wäre, und nimmt dem blinden Zufall seine Macht. Brach sich ein zentralafrikanischer Azande ein Bein, hatte er nicht einfach Pech oder war unvorsichtig. Vielmehr fühlte er sich als Opfer von mangii, Hexerei. Vor allem aber erlaubte es die Konstruktion, zu handeln und nicht mehr nur zu beten: Gegen die Pest oder das Wetter ließ sich nichts ausrichten, gegen Hexen schon.

In einem Punkt jedoch unterscheidet sich der europäische Hexenwahn von vergleichbaren Phänomenen aller anderen Kulturen: Er wurde zu Schrift und Papier, und er mündete in staatlich organisiert Prozesse, die von mächtigen juristischen und theologischen Fundamenten getragen wurden. Ein reiche theoretische Literatur nährte die Vorstellung einer Verschwörung durch eine universal vernetzt Sekte. Abertausende Verhöre, die in Europas Archiven erhalten sind, spiegeln »Erkenntnisse« der Dämonologen. Die Fragenkataloge der Verfolge arbeiteten ab, was sich in den Büchern nachlese ließ: ob die Angeklagte mit dem bösen Feind geschlafen habe? Ob sie beim nächtlichen Tanz dabei gewesen sei? Ob sie auf dem Friedhof Kindsleiche ausgegraben habe? Ob sie …?

Das erfolgreichste Elaborat des Genres war der 1487 publizierte Hexenhammer, ein erster Sündenfall des neuen Mediums Buchdruck. Sein Autor, der Dominikaner Heinrich Kramer, latinisiert »Institoris«, hatte drei Jahre zuvor bei Papst Innozenz VIII. eine Bulle erwirkt, die ihn zur Verfolgung der in Deutschland ihr Unwesen treibenden Hexen und Zauberer ermächtigte. Sehr erfolgreich war er nicht; dem Bi­schof von Brixen war er als »ganz kindisch«, als ver­trottelter Greis erschienen. So verwies der Bischof ihn seiner Diözese.

Der Hexenhammer war eine Reaktion darauf. Unter Berufung auf Autoritäten wie Augustinus oder Thomas von Aquin suchte der Autor zu bewei­sen, dass rechtgläubig sei, wer Nachtflug, Sex mit Dämonen oder Schadenzauber Realität zuschrieb. Das dickleibige Machwerk bot wenig Neues. Es systematisierte, was man damals über das Hexen­werk zu wissen meinte, und gab präzise Hinweise, wie Prozesse zu führen waren. In mehrere Sprachen übersetzt und bis ins Jahr 1669 etwa dreißigmal auf­gelegt, wurde das fatale Buch zur Bibel vieler He­xenjäger.

Auffällig ist der fanatische Frauenhass, der von Seite zu Seite daraus spricht. Vermutlich hatte sich da ein frustrierter Zölibatär Verdrängtes vom Leib geschrieben. Wer anders als der Teufel konnte hin­ter den Verlockungen des Weiblichen stecken, die auch ihn, den frommen Mönch, bisweilen befallen haben mögen? Das misogyne Gift des Hexenham­mers ist eine der Ursachen dafür, dass in vielen Re­gionen Mitteleuropas bis zu 80 Prozent der Opfer Frauen waren. Vorsichtigen Schätzungen zufolge wurden insgesamt etwa 60.000 angebliche Hexen und Hexer gehenkt, geköpft oder verbrannt. Auch Kinder wurden manchmal nicht verschont. Der Henker schnitt die Pulsadern auf, um ihnen das Sterben zu erleichtern.

Unumstritten war die Verfolgung nie. Die Fron­ten verliefen quer durch Konfessionen und selbst Orden. Die Jesuiten stellten mit Martin Delrio, Autor einer monumentalen Hexenlehre, einen würdigen Nachfolger des Institoris; Jesuiten waren aber auch Adam Tanner und Friedrich Spee, zwei entschiedene Kritiker der Prozesse. In seiner Cautio Criminalisvon 1631 ließ Spee durchblicken, dass er das gesamte Hexenwesen allein für ein Produkt der Folter und der Unwissenheit hielt. Am Ende des 17. Jahrhunderts zog der niederländische Theologe Balthasar Bekker den Zorn seiner calvinistischen Glaubensgenossen auf sich, als er in seiner Schrift Bezauberte Welt die Macht des Teufels und die Existenz von Dämonen überhaupt verneinte.

Erst als die Aufklärung mit ihrer Feier von Ver­nunft und Toleranz in Kabinette und Gerichtsstuben Eingang fand, nahte allmählich das Ende einer der dunkelsten Episoden der europäischen Geschichte. Doch dauerte es bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, bis endgültig der Vorhang fiel. Die letzte »legale« Hinrichtung einer »Hexe«, der Magd Anna Göldin, fand 1782 im schweizerischen Glarus statt.

Bernd Roeck „Hexenverfolgung“ in ZEITGeschichte 03/2020, S. 30 – 33