Du Schurke!

Ach, wie schön ist es, wenn das Böse so durch und durch Böse sein darf. Erinnert ihr euch noch an „die zauberhafte Welt von Oz“? Zwei gute und zwei böse Hexen – und die bösen sind dabei so durchtrieben, dass völlig klar ist, wer und was bekämpft werden muss.

Das hilft! Es gibt Orientierung und führt vor Augen, welches Handeln keine guten Absichten hat und sich gegen den Menschen wendet.

Wer ist also der Schurke im Nibelungen-Lied, von dem wir direkt wissen: „so bitte nicht“? Alle Finger in den Interpretationen zeigen sofort auf Hagen. Er, der Manager, der hinter den Kulissen die Fäden in der Hand hat, ist es, der den Figuren immer wieder leid antut.

Wir fanden, dass wird der Figur nicht gerecht. Und leider ist das „echte“ Leben auch nicht so schön in „gut“ und „böse“ zu teilen, so sehr wir uns das wünschen. Die „böse“ Banken, die „bösen“ Manager, die „bösen“ Politiker, die nur ihre Interessen im Blickfeld haben. Doch das greift zu kurz. Hinter jedem Handeln steckt eine Motivation, die manchmal komplizierter ist, als man zu Beginn meint. Wer schnell ein Urteil parat hat, wird oft diesen komplexen Umständen nicht wirklich gerecht. Denn warum handelt jemand in einer bestimmten Art und Weise? Was im echten Leben schwer zu ergründen ist, ist beim Schreiben eines Theaterstücks die zentrale Herausforderung der Figurenkonzeption. Und wir wollten Hagen anders als Hebbel* nicht vollständig diesem bösen Image überlassen. Uns hat interessiert, warum Hagen so handelt, wie er es tut, immer in der Annahme, dass er damit ein (gutes) Ziel erreichen will. Natürlich verfolgt er seine Interessen, aber wer tut es nicht? Natürlich versteht er sich im geschickten Zusammenführen von Situationen – er wäre der bessere König gewesen (und er weiß es)! Und stattdessen sieht er die Unfähigkeit König Gunthers stets vor sich und ist bemüht, Worms indirekt zu führen. Ihm ist es nicht gestattet, auf Augenhöhe mit dem Königshaus zu sprechen – der gedemütigte Bewerber Conrad von Ingelheim führt Hagen das schnell vor Augen: Wie ist noch mal gleich ihre Position am Hof?

Und so kommt eins zum anderen. Nicht jeder Plan geht auf und am Ende entsteht ein Chaos, das auch er nicht mehr beherrscht und ihn überfordert. Er macht die Fehler, die alle Figuren weiter an den Abgrund führen.

Aber eindeutig „böse“ ist er nicht. Hagen ist Täter. Und Opfer.

)* Christian Friedrich Hebbel (1813 – 1883) war ein deutscher Dramatiker und Lyriker. 1861 veröffentlicht er das Theaterstück „Die Nibelungen“, eines seiner wichtigsten Werke.

Weitere Gedanken zum Stück: Die Waffe einer Frau / Vater Rhein / Mann über Bord / Ordnung ist der Feind der Freiheit