Gekürzte Fassung des 1983 von Berta Lösel-Wieland-Engelamm erschienenen Artikel „Nibelungen: Kriemhilds Rache“ in http://www.emma.de/artikel/nibelungen-kriemhilds-rache-264366
Das Nibelungenlied stammt von einer
Frau! Diese Behauptung stellt Berta Engelmann auf, Sekretärin am
germanistischen Seminar der Wilfrid-Laurier-Universität in Kanada. Und sie kann
diese „unverschämte“ Behauptung auch noch beweisen. Nach jahrelangen
Forschungsarbeiten kann sie nun belegen: Die Suche nach dem Verfasser des
„größten deutschen Heldenepos“ muss um die Frage erweitert werden: War er
eine Nonne?
Auch heute weiß niemand, wer das um 1200
in Passau entstandene Nibelungenlied geschrieben hat. Auch heute noch fragt
sich die Fachwelt, ob es wohl eher von einem Ritter, einem Spielmann oder einem
Kleriker stammen könnte. Vor einigen Jahren schlug ich vor, doch lieber nach
einer Dichterin statt nach einem Dichter zu suchen.
Die Reaktionen auf diese Provokation
waren mannigfaltig: Sie reichten von empörter Ablehnung bis zu förderndem
Interesse. Niemand jedoch kann mir vorwerfen, ich hätte das alles erfunden. Ich
spekuliere keineswegs unbekümmerter als es die – männliche – Forschung schon
immer getan hat und ich habe sehr schwerwiegende Verdachtsmomente für meine
These: dass der Dichter des größten deutschen Heldenepos eine Frau war. Die
Hauptgestalten alter Epen sind gewöhnlich Männer, die sich wegen völkischer
oder religiöser Gegensätze feindlich gegenüberstehen. Im Nibelungenlied fehlt
ein derartig klarer Freund-Feind-Gegensatz. Zwar sind die Hunnen Heiden, doch
es geht im Nibelungenlied nicht um ihre Bekehrung. Zum Blutbad zwischen
Burgundern und Hunnen kommt es einzig deshalb, weil Kriemhild, burgundische Königstochter
und im zweiten Teil des Liedes des Hunnenkönigs Etzels Frau, einen der
burgundischen Gäste (Hagen) strafen will für das Leid, das er ihr einst
zugefügt hatte. Hier, und nur hier, verläuft somit die „Frontlinie“ im
Nibelungenlied: In der erbitterten Auseinandersetzung zwischen einem mächtigen
weiblichen und einem mächtigen männlichen Willen.
Am Anfang jener Feindschaft steht eine
männliche Verschwörung: Hagen konnte seinen Mordplan an Siegfried nicht
ausführen, ohne dessen einzige verwundbare Stelle zu kennen. Von der aber
wusste nur Kriemhild, der nun Hagen – zusammen mit anderen, die eine
„Kriegsgefahr“ simulierten – mit einem ziemlich miesen Trick das Geheimnis
entlockte: Er gab vor, er müsse die Stelle kennen, um Siegfried besser schützen
zu können. In der liebenden Sorge um ihren Mann verriet Kriemhild das Geheimnis
und wurde somit zur unfreiwilligen Handlangerin des Mörders.
Schon vor dieser Begebenheit schilderte
das Nibelungenlied die Manipulation einer Frau durch eine Gruppe von Männern.
Die starke und mächtige- Brunhild wurde durch Günther und Siegfried gemeinsam
ausgetrickst: Die Kraft- und Geschicklichkeitsproben, die sie von Günther
verlangte, ehe sie bereit war, ihn zu heiraten, hätte dieser „tapfere
König“ alleine nie bestanden. Nur mit Hilfe des listigen (und auf Grund
seiner Tarnkappe unsichtbaren) Siegfried gelang es den beiden Männern mit
vereinten Kräfte, die starke Frau zu besiegen!
Weder Kriemhild noch Brunhild neigen zu
Passivität und zum klaglosen Erdulden von Unrecht. Stattdessen verfolgen beide
Frauen unbeirrt ihre einmal anvisierten Ziele. Brunhild wird durch ihren
Argwohn, dass man ihr etwas Wichtiges verschwiegen hat, zur unerbittlichen
Wahrheitssuche beflügelt. Als sie erkennt, wie übel ihr mitgespielt wurde,
fordert sie den Tod des Frevlers. Kriemhild ist später ebenso rastlos in ihrem
Bemühen, Hagen für sein Verbrechen einer gerechten Sühne zuzuführen.
Bemerkenswert ist, wie negativ die männliche Hauptperson, Hagen, im
Nibelungenlied gezeichnet wird. Hagen ist ein „Ritter“, der so manchen
„Kampf“ gegen Wehrlose und Unterlegene gewinnt. Er ist nicht nur der
Meuchelmörder des ahnungslosen Siegfried, sondern er versucht auch, einen
Priester zu ertränken, er köpft ein Kind und tötet dessen Erzieher. Mitten in
einem Kampf auf Leben und Tod kündigt er treulos seinen Königen die
Gefolgschaft auf. Der Witwe Siegfrieds raubt er Geld und Gut und provoziert und
verhöhnt die trauernde Frau.
,So hat der/die Dichter(in) sehr scharfe
Kontraste zwischen der weiblichen und der männlichen Hauptperson geschaffen.
Für irgendwelche Fehldeutungen seitens der Germanisten über seine/ihre
Sympathien sollte also im Grunde wenig Raum vorhanden sein. Nun geschah aber
leider im 13. Jahrhundert etwas sehr Eigenartiges mit unserem Nibelungenlied:
Jemand nahm eine Reihe von Änderungen an den Charakterzeichnungen vor, und
seitdem besitzen wir nicht ein Nibelungenlied, sondern deren zwei zur
gefälligen Auswahl. Die Gesamtüberlieferung zerfällt in zwei große Gruppen, B
und C genannt.
(…)
Doch auch wenn wir die Frage B oder C
beiseite lassen, bleiben den beiden Fassungen immer noch genügend
Gemeinsamkeiten, die auf eine weibliche Verfasserin schließen lassen. Da sind
einmal die auffallenden Fehler in den Jagd- und Kampfszenen. Der (?) Dichter
macht nicht selten einen recht uninformierten und unerfahrenen Eindruck in
diesen „Männerangelegenheiten“. Andererseits zeigt er (?) in den
sogenannten „Schneiderstrophen“, dass er sich aufs Nähen von
Prachtgewändern recht gut versteht. Und es ist geradezu rührend anzusehen, wie
sich die „Helden“ vor der Islandfahrt bei den fleißigen Frauen ihre
Kleider abholen, sie anprobieren und brav „Dankeschön“ dafür sagen.
Immer dann, wenn im Nibelungenlied eine
Festlichkeit ansteht, dürfen wir ausführlich bei den Vorbereitungen zuschauen,
und wir lesen da in so manchen Strophen, wie die Frauen „aus den Kisten“
ihre schönsten Kleider hervorholen. Wenn Männer nicht gerade etwas Neues
geschneidert bekommen, kümmert sich derselbe Verfasser (?) um die männlichen
Festvorbereitungen gar nicht. Wichtig ist nur, dass die Herren zur rechten Zeit
in richtiger Anzahl als dekoratives Gefolge und dankbares Publikum für die sich
entfaltende Frauenschönheit zur Stelle sind.
Die damalige, durchaus fehdelustige Zeit
sollte sich im Nibelungenlied eigentlich durch lebhaftes Hurra-Geschrei für
Kampf und Krieg widerspiegeln, doch stattdessen verdirbt uns der/die
Dichter(in) jegliche Freude an Sieg und Triumph durch die dauernde Erinnerung
daran, was so ein Kampf letzten Endes für die Frauen und Mädchen bedeutet:
Tränen und nochmals Tränen.
Bei jeder der drei geschilderten
Heiraten legt die betreffende Frau viel Wert darauf, eigenes Geld und Gut ins
Land ihres Mannes mitzunehmen. „Nötig“ hat sie das nie, denn sowohl Siegfried,
als auch Günther und Etzel sind selber unermesslich reich. Warum also dieser
überflüssige Zeilenaufwand? – Immer dort, wo Geld und Gut keinen praktischen
Wert haben, können wir an seinen symbolischen denken: eigener Besitz als
Zeichen für die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Frau.
Mit Genuss und Hingabe schildert uns
der/die Dichter(in) Günthers schmachvolle Niederlage im Bett. Als er seiner
frischangetrauten Frau zu sehr auf die Nerven geht, bindet sie ihn kurzerhand
zusammen und hängt ihn an den nächsten Pflock in der Wand. – Und weil wir schon
beim Bett sind: das Vergnügen der Männer scheint dabei nicht die Hauptsache zu
sein. Das traute Beisammensein im Schlafzimmer ist für- Brunhild und Kriemhild
vor allem eine günstige Situation, weil sie den jeweiligen Mann dort für sich
allein haben und ihn so im Sinne ihrer politischen Ziele bearbeiten können.
Der Hauptzweck des Bettes wird vom
Nibelungenlied-Dichter sowieso vernachlässigt, denn von der „natürlichen
Bestimmung des Weibes“ hat er (?) nicht die richtige Vorstellung. Wenn der
König eines Landes frischverheiratet ist, erwartet man, dass sich binnen
Jahresfrist der Erbe einstellt. Aber: im Nibelungenlied kriegen Günther und
Siegfried erst nach zehnjähriger Ehe die obligate Bestätigung ihrer Virilität
geliefert. Hätte nicht wenigstens der Supermann Siegfried eine etwas bessere
Leistung angedichtet bekommen können? Ab und zu beliebt es dem/der Dichter(in)
auch, die Männer unter Zuhilfenahme von Frauennamen zu benennen. So wird
Siegfried- kaum, dass er aufgehört hat, „Sieglindes Kind“ zu sein nicht
selten als „Kriemhildes Mann“ bezeichnet. Die drei Könige sind mitunter
„Utes Söhne“ und vom Markgrafen Rüdiger wird auch mal als von „Gotelindes
Mann“ gesprochen.
(…)
Noch wichtiger jedoch (…) für das Nibelungenlied (ist) eine ehemalige
Äbtissin von Niedernburg, die 150 Jahre vor der Schaffung des Epos dem Kloster
vorgestanden hatte. Zwischen ihr und Kriemhild gibt es zahlreiche starke
Ähnlichkeiten, die man auf keinen Fall als rein zufällig abtun kann. Diese
Äbtissin Gisela war zwar als bayerische Prinzessin aufgewachsen, stammte aber
mütterlicherseits aus dem burgundischen Königshaus. Die Enkelin und Nichte von
Burgunderkönigen kannte als junges Mädchen auch noch Bischof Pilgrim, der im
Nibelungenlied eine Rolle spielt. Genau wie Kriemhild hatte auch Gisela drei
Brüder, heiratete einen in Ungarn lebenden König (beziehungsweise dessen Sohn,
der nach wenigen Jahren König wurde) und lernte großes Leid kennen, als ein
geliebter Mensch von einer Jagd nicht mehr zu ihr zurückkehrte: bei Gisela war
es der Kronprinz und einzige Sohn Emmerich, der das Opfer eines Jagdunfalls
wurde. Für beide Frauen gilt in gleicher Weise, dass dieser während einer Jagd
erlittene Tod eines Beschützers den Weg freimachte für die spätere Beraubung
einer Königin durch einen männlichen Verwandten.
(…) Gisela hatte von 995-1045 (von 1000-1038 als
Königin) in Ungarn gelebt. In den letzten 20 Jahren ihres Lebens – als Äbtissin
von Niedernburg – konnte sie den dortigen Nonnen viel von jenem fremden Land
erzählen. Darunter waren nicht nur ihre eigenen persönlichen Erlebnisse,
sondern auch große Teile der ungarischen Geschichte und Sagenwelt. Sicherlich
ließen Giselas ehrfürchtige Schülerinnen diese Dinge nicht der Vergessenheit
anheimfallen, und so fand ein weibliches Genie 150 Jahre später in den
Niedernburger Archiven viele „alte Mären“. Unter ihnen kann sehr wohl auch
diejenige von der äußerst blutigen „Crumheld“-Schlacht am Nedao in
Pannonien gewesen sein, in der es um Attilas Erbfolge ging.
Im Nibelungenlied – und besonders in der
C-Fassung – werden die Männer an den Pranger gestellt. Es wird gezeigt, wie
groß ihre Verschwörungsbereitschaft ist, wenn es darum geht, die Frauen zu
belügen, zu betrügen und zu berauben. Dieses Zusammenhalten der Männer gegen
„aufmüpfige“ Frauen wird in den Schlussstrophen des Epos in grellem
Schlaglicht beleuchtet. Kriemhild wird „zerhouwen“, jedoch nicht von einem
Feinde, sondern von einem Krieger der eigenen Seite, einem Gefolgsmann ihres
Gatten Etzel. Und Kriemhilds Ehemann scheint das ganz in Ordnung zu finden. Er,
dessen einziger Sohn durch Hagen enthauptet wurde, ist damit beschäftigt, den
Tod dieses „Helden“ zu beklagen. Was ist hier eigentlich los?
Nur eine einzige Erklärung wird dem
überaus bizarren Geschehen gerecht, das uns diese Schlussszene zeigt: Der/die
Dichter(in) will uns drastisch vorführen, wie im Kampfe gegen die mächtige Frau
die eben noch vorhanden gewesenen Männerfronten zerbröckeln und alle Männer
Brüder werden im Frontmachen gegen ihren eigentlichen Feind: jene Frau, die
nicht nur den untolerierbaren Schritt gewagt hat, sich zur Richterin über Männer
emporzuschwingen, sondern die der Gerechtigkeit sogar durch eine eigenhändige
Exekution zum Durchbruch verhelfen hat. Kriemhilds Revolte gegen die
ungerechte, aber umso starrere Gesellschaftsordnung musste dann augenblicklich
an der harten Realität scheitern.
Dieser weiblichen Niederlage steht aber keineswegs ein Triumph und ein Gewinn gegenüber, den nun die Männer als Positivum für sich verbuchen können. Ihr Drang, die Frauen durch Lug und Trug für ihre Zwecke zu manipulieren und ihr Wahn, weibliche Gefühle ungestraft missachten zu können, führt zum Untergang auch der männlichen Heerscharen.
Weitere Gedanken zum Stück: Hengstin / Du Schurke! / Die Waffe einer Frau / Ordnung ist der Feind der Freiheit