Alle Beiträge von kjgtheater

Das Nibelungenlied stammt von einer Frau

Gekürzte Fassung des 1983 von Berta Lösel-Wieland-Engelamm erschienenen Artikel „Nibelungen: Kriemhilds Rache“ in http://www.emma.de/artikel/nibelungen-kriemhilds-rache-264366

Das Nibelungenlied stammt von einer Frau! Diese Behauptung stellt Berta Engelmann auf, Sekretärin am germanistischen Seminar der Wilfrid-Laurier-Universität in Kanada. Und sie kann diese „unverschämte“ Behauptung auch noch beweisen. Nach jahrelangen Forschungsarbeiten kann sie nun belegen: Die Suche nach dem Verfasser des „größten deutschen Heldenepos“ muss um die Frage erweitert werden: War er eine Nonne?

Auch heute weiß niemand, wer das um 1200 in Passau entstandene Nibelungenlied geschrieben hat. Auch heute noch fragt sich die Fachwelt, ob es wohl eher von einem Ritter, einem Spielmann oder einem Kleriker stammen könnte. Vor einigen Jahren schlug ich vor, doch lieber nach einer Dichterin statt nach einem Dichter zu suchen.

Die Reaktionen auf diese Provokation waren mannigfaltig: Sie reichten von empörter Ablehnung bis zu förderndem Interesse. Niemand jedoch kann mir vorwerfen, ich hätte das alles erfunden. Ich spekuliere keineswegs unbekümmerter als es die – männliche – Forschung schon immer getan hat und ich habe sehr schwerwiegende Verdachtsmomente für meine These: dass der Dichter des größten deutschen Heldenepos eine Frau war. Die Hauptgestalten alter Epen sind gewöhnlich Männer, die sich wegen völkischer oder religiöser Gegensätze feindlich gegenüberstehen. Im Nibelungenlied fehlt ein derartig klarer Freund-Feind-Gegensatz. Zwar sind die Hunnen Heiden, doch es geht im Nibelungenlied nicht um ihre Bekehrung. Zum Blutbad zwischen Burgundern und Hunnen kommt es einzig deshalb, weil Kriemhild, burgundische Königstochter und im zweiten Teil des Liedes des Hunnenkönigs Etzels Frau, einen der burgundischen Gäste (Hagen) strafen will für das Leid, das er ihr einst zugefügt hatte. Hier, und nur hier, verläuft somit die „Frontlinie“ im Nibelungenlied: In der erbitterten Auseinandersetzung zwischen einem mächtigen weiblichen und einem mächtigen männlichen Willen.

Am Anfang jener Feindschaft steht eine männliche Verschwörung: Hagen konnte seinen Mordplan an Siegfried nicht ausführen, ohne dessen einzige verwundbare Stelle zu kennen. Von der aber wusste nur Kriemhild, der nun Hagen – zusammen mit anderen, die eine „Kriegsgefahr“ simulierten – mit einem ziemlich miesen Trick das Geheimnis entlockte: Er gab vor, er müsse die Stelle kennen, um Siegfried besser schützen zu können. In der liebenden Sorge um ihren Mann verriet Kriemhild das Geheimnis und wurde somit zur unfreiwilligen Handlangerin des Mörders.

Schon vor dieser Begebenheit schilderte das Nibelungenlied die Manipulation einer Frau durch eine Gruppe von Männern. Die starke und mächtige- Brunhild wurde durch Günther und Siegfried gemeinsam ausgetrickst: Die Kraft- und Geschicklichkeitsproben, die sie von Günther verlangte, ehe sie bereit war, ihn zu heiraten, hätte dieser „tapfere König“ alleine nie bestanden. Nur mit Hilfe des listigen (und auf Grund seiner Tarnkappe unsichtbaren) Siegfried gelang es den beiden Männern mit vereinten Kräfte, die starke Frau zu besiegen!

Weder Kriemhild noch Brunhild neigen zu Passivität und zum klaglosen Erdulden von Unrecht. Stattdessen verfolgen beide Frauen unbeirrt ihre einmal anvisierten Ziele. Brunhild wird durch ihren Argwohn, dass man ihr etwas Wichtiges verschwiegen hat, zur unerbittlichen Wahrheitssuche beflügelt. Als sie erkennt, wie übel ihr mitgespielt wurde, fordert sie den Tod des Frevlers. Kriemhild ist später ebenso rastlos in ihrem Bemühen, Hagen für sein Verbrechen einer gerechten Sühne zuzuführen. Bemerkenswert ist, wie negativ die männliche Hauptperson, Hagen, im Nibelungenlied gezeichnet wird. Hagen ist ein „Ritter“, der so manchen „Kampf“ gegen Wehrlose und Unterlegene gewinnt. Er ist nicht nur der Meuchelmörder des ahnungslosen Siegfried, sondern er versucht auch, einen Priester zu ertränken, er köpft ein Kind und tötet dessen Erzieher. Mitten in einem Kampf auf Leben und Tod kündigt er treulos seinen Königen die Gefolgschaft auf. Der Witwe Siegfrieds raubt er Geld und Gut und provoziert und verhöhnt die trauernde Frau.

,So hat der/die Dichter(in) sehr scharfe Kontraste zwischen der weiblichen und der männlichen Hauptperson geschaffen. Für irgendwelche Fehldeutungen seitens der Germanisten über seine/ihre Sympathien sollte also im Grunde wenig Raum vorhanden sein. Nun geschah aber leider im 13. Jahrhundert etwas sehr Eigenartiges mit unserem Nibelungenlied: Jemand nahm eine Reihe von Änderungen an den Charakterzeichnungen vor, und seitdem besitzen wir nicht ein Nibelungenlied, sondern deren zwei zur gefälligen Auswahl. Die Gesamtüberlieferung zerfällt in zwei große Gruppen, B und C genannt.

(…)

Doch auch wenn wir die Frage B oder C beiseite lassen, bleiben den beiden Fassungen immer noch genügend Gemeinsamkeiten, die auf eine weibliche Verfasserin schließen lassen. Da sind einmal die auffallenden Fehler in den Jagd- und Kampfszenen. Der (?) Dichter macht nicht selten einen recht uninformierten und unerfahrenen Eindruck in diesen „Männerangelegenheiten“. Andererseits zeigt er (?) in den sogenannten „Schneiderstrophen“, dass er sich aufs Nähen von Prachtgewändern recht gut versteht. Und es ist geradezu rührend anzusehen, wie sich die „Helden“ vor der Islandfahrt bei den fleißigen Frauen ihre Kleider abholen, sie anprobieren und brav „Dankeschön“ dafür sagen.

Immer dann, wenn im Nibelungenlied eine Festlichkeit ansteht, dürfen wir ausführlich bei den Vorbereitungen zuschauen, und wir lesen da in so manchen Strophen, wie die Frauen „aus den Kisten“ ihre schönsten Kleider hervorholen. Wenn Männer nicht gerade etwas Neues geschneidert bekommen, kümmert sich derselbe Verfasser (?) um die männlichen Festvorbereitungen gar nicht. Wichtig ist nur, dass die Herren zur rechten Zeit in richtiger Anzahl als dekoratives Gefolge und dankbares Publikum für die sich entfaltende Frauenschönheit zur Stelle sind.

Die damalige, durchaus fehdelustige Zeit sollte sich im Nibelungenlied eigentlich durch lebhaftes Hurra-Geschrei für Kampf und Krieg widerspiegeln, doch stattdessen verdirbt uns der/die Dichter(in) jegliche Freude an Sieg und Triumph durch die dauernde Erinnerung daran, was so ein Kampf letzten Endes für die Frauen und Mädchen bedeutet: Tränen und nochmals Tränen.

Bei jeder der drei geschilderten Heiraten legt die betreffende Frau viel Wert darauf, eigenes Geld und Gut ins Land ihres Mannes mitzunehmen. „Nötig“ hat sie das nie, denn sowohl Siegfried, als auch Günther und Etzel sind selber unermesslich reich. Warum also dieser überflüssige Zeilenaufwand? – Immer dort, wo Geld und Gut keinen praktischen Wert haben, können wir an seinen symbolischen denken: eigener Besitz als Zeichen für die Selbständigkeit und Unabhängigkeit der Frau.

Mit Genuss und Hingabe schildert uns der/die Dichter(in) Günthers schmachvolle Niederlage im Bett. Als er seiner frischangetrauten Frau zu sehr auf die Nerven geht, bindet sie ihn kurzerhand zusammen und hängt ihn an den nächsten Pflock in der Wand. – Und weil wir schon beim Bett sind: das Vergnügen der Männer scheint dabei nicht die Hauptsache zu sein. Das traute Beisammensein im Schlafzimmer ist für- Brunhild und Kriemhild vor allem eine günstige Situation, weil sie den jeweiligen Mann dort für sich allein haben und ihn so im Sinne ihrer politischen Ziele bearbeiten können.

Der Hauptzweck des Bettes wird vom Nibelungenlied-Dichter sowieso vernachlässigt, denn von der „natürlichen Bestimmung des Weibes“ hat er (?) nicht die richtige Vorstellung. Wenn der König eines Landes frischverheiratet ist, erwartet man, dass sich binnen Jahresfrist der Erbe einstellt. Aber: im Nibelungenlied kriegen Günther und Siegfried erst nach zehnjähriger Ehe die obligate Bestätigung ihrer Virilität geliefert. Hätte nicht wenigstens der Supermann Siegfried eine etwas bessere Leistung angedichtet bekommen können? Ab und zu beliebt es dem/der Dichter(in) auch, die Männer unter Zuhilfenahme von Frauennamen zu benennen. So wird Siegfried- kaum, dass er aufgehört hat, „Sieglindes Kind“ zu sein nicht selten als „Kriemhildes Mann“ bezeichnet. Die drei Könige sind mitunter „Utes Söhne“ und vom Markgrafen Rüdiger wird auch mal als von „Gotelindes Mann“ gesprochen.

(…)

Noch wichtiger jedoch (…)  für das Nibelungenlied (ist) eine ehemalige Äbtissin von Niedernburg, die 150 Jahre vor der Schaffung des Epos dem Kloster vorgestanden hatte. Zwischen ihr und Kriemhild gibt es zahlreiche starke Ähnlichkeiten, die man auf keinen Fall als rein zufällig abtun kann. Diese Äbtissin Gisela war zwar als bayerische Prinzessin aufgewachsen, stammte aber mütterlicherseits aus dem burgundischen Königshaus. Die Enkelin und Nichte von Burgunderkönigen kannte als junges Mädchen auch noch Bischof Pilgrim, der im Nibelungenlied eine Rolle spielt. Genau wie Kriemhild hatte auch Gisela drei Brüder, heiratete einen in Ungarn lebenden König (beziehungsweise dessen Sohn, der nach wenigen Jahren König wurde) und lernte großes Leid kennen, als ein geliebter Mensch von einer Jagd nicht mehr zu ihr zurückkehrte: bei Gisela war es der Kronprinz und einzige Sohn Emmerich, der das Opfer eines Jagdunfalls wurde. Für beide Frauen gilt in gleicher Weise, dass dieser während einer Jagd erlittene Tod eines Beschützers den Weg freimachte für die spätere Beraubung einer Königin durch einen männlichen Verwandten.

(…)  Gisela hatte von 995-1045 (von 1000-1038 als Königin) in Ungarn gelebt. In den letzten 20 Jahren ihres Lebens – als Äbtissin von Niedernburg – konnte sie den dortigen Nonnen viel von jenem fremden Land erzählen. Darunter waren nicht nur ihre eigenen persönlichen Erlebnisse, sondern auch große Teile der ungarischen Geschichte und Sagenwelt. Sicherlich ließen Giselas ehrfürchtige Schülerinnen diese Dinge nicht der Vergessenheit anheimfallen, und so fand ein weibliches Genie 150 Jahre später in den Niedernburger Archiven viele „alte Mären“. Unter ihnen kann sehr wohl auch diejenige von der äußerst blutigen „Crumheld“-Schlacht am Nedao in Pannonien gewesen sein, in der es um Attilas Erbfolge ging.

Im Nibelungenlied – und besonders in der C-Fassung – werden die Männer an den Pranger gestellt. Es wird gezeigt, wie groß ihre Verschwörungsbereitschaft ist, wenn es darum geht, die Frauen zu belügen, zu betrügen und zu berauben. Dieses Zusammenhalten der Männer gegen „aufmüpfige“ Frauen wird in den Schlussstrophen des Epos in grellem Schlaglicht beleuchtet. Kriemhild wird „zerhouwen“, jedoch nicht von einem Feinde, sondern von einem Krieger der eigenen Seite, einem Gefolgsmann ihres Gatten Etzel. Und Kriemhilds Ehemann scheint das ganz in Ordnung zu finden. Er, dessen einziger Sohn durch Hagen enthauptet wurde, ist damit beschäftigt, den Tod dieses „Helden“ zu beklagen. Was ist hier eigentlich los?

Nur eine einzige Erklärung wird dem überaus bizarren Geschehen gerecht, das uns diese Schlussszene zeigt: Der/die Dichter(in) will uns drastisch vorführen, wie im Kampfe gegen die mächtige Frau die eben noch vorhanden gewesenen Männerfronten zerbröckeln und alle Männer Brüder werden im Frontmachen gegen ihren eigentlichen Feind: jene Frau, die nicht nur den untolerierbaren Schritt gewagt hat, sich zur Richterin über Männer emporzuschwingen, sondern die der Gerechtigkeit sogar durch eine eigenhändige Exekution zum Durchbruch verhelfen hat. Kriemhilds Revolte gegen die ungerechte, aber umso starrere Gesellschaftsordnung musste dann augenblicklich an der harten Realität scheitern.

Dieser weiblichen Niederlage steht aber keineswegs ein Triumph und ein Gewinn gegenüber, den nun die Männer als Positivum für sich verbuchen können. Ihr Drang, die Frauen durch Lug und Trug für ihre Zwecke zu manipulieren und ihr Wahn, weibliche Gefühle ungestraft missachten zu können, führt zum Untergang auch der männlichen Heerscharen.

Weitere Gedanken zum Stück: Hengstin / Du Schurke! / Die Waffe einer Frau / Ordnung ist der Feind der Freiheit

Hengstin

Wer hat dich in Ketten gelegt? Ketten aus Silber und Gold
Hast du das Silber gewählt? Hast du das selber gewollt?
Bleibst du gefällig, damit du jedem gefällst?
Die Waffen einer Frau richten sich gegen sie selbst!

Du hast gelernt, dass man besser keine Regeln bricht,
Dass man sich besser nicht im Gefecht die Nägel bricht,
Tiefe Stimmen erheben sich, gegen dich, knebeln dich,
Doch wer nichts zu sagen wagt, der spürt auch seine Knebel nicht!

Du fragst, was Sache ist? Reden wir Tacheles!
Ich glaube nicht daran, dass mein Geschlecht das schwache ist!
Ich glaube nicht, dass mein Körper meine Waffe ist!
Ich glaube nicht, dass mein Körper deine Sache ist!

Reiß dich vom Riemen, es ist nie zu spät
Denn ein Weg entsteht erst wenn man ihn geht
Ich bin kein Herdentier, nur weil ich kein Hengst bin, 
Ich bin ’ne, ich bin ’ne Hengstin

Trau keinem System, trau nicht irgendwem!
Lass dich nicht von Zucker und Peitsche zähmen!
Ich bin kein Herdentier, nur weil ich kein Hengst bin,
Ich bin ’ne, ich bin ’ne, ich bin ’ne Hengstin!

Festival Mainstage alles voller VIP’s,
Plattenfirma, Chefetage alles voller VIP’S,
Very Important Penises wo sind die Ladys im Business?
Wo man auch nur hin tritt überallen Schlips!

Es ist seit Hunderten von Jahren dieselbe Leier,
Das selbe Lied zu dem die Chauvis gerne feiern!
Sie besaufen sich am Testosteron bis sie reihern!
Ich seh so viele Männer und so wenig Eier!

Erzähl mir nicht, dass das Thema kalter Kaffee ist,
Man muss nicht alles schwarz anmalen um zu erkennen was Sache ist
Wir leben in ’nem Herrenwitz, der nicht zum Lachen ist,
Doch wenn man ihn nur gut erzählt, merkt keine Sau, wie flach er ist!

Reiß dich vom Riemen, es ist nie zu spät
Denn ein Weg entsteht erst wenn man ihn geht
Ich bin kein Herdentier, nur weil ich kein Hengst bin
Ich bin ’ne, ich bin ’ne Hengstin

Trau keinem System, trau nicht irgendwem
Lass dich nicht von Zucker und Peitsche zähmen
Ich bin kein Herdentier, nur weil ich kein Hengst bin
Ich bin ’ne, ich bin ’ne, ich bin ’ne Hengstin

Weitere Gedanken zum Stück findest du hier: Du Schurke, Vater Rhein, Die Waffe eine Frau, Ordnung ist der Feind der Freiheit

Tabgha geht – was nun?

Die Jugendkirche Tabgha zieht um nach Duisburg. Das Bistum wird dort einen höheren sechststelligen Betrag investieren und damit ein Ausrufezeichen hinter das Projekt „Jugendkirche“ setzen – aber eben nicht mehr am Standort Oberhausen.

Für den Süden der Pfarrei St. Clemens ist dies eine schlechte Nachricht. Die Gemeinde Liebfrauen steht vor einer undurchsichtigen Zukunft, der Standort „Christ-König“ / Tabgha wird ab spätestens Mitte nächsten Jahres nicht mehr zur Verfügung stehen. Damit sind die Orte, an denen KjG Theater in den vergangenen Jahren gespielt hat, nicht mehr verfügbar. Die Pfarrei hat in Ihrem Votum sich zwar klar zu KjG Theater bekannt, welche Räume uns hier in Zukunft zur Verfügung stehen ist aber immer noch unklar.

Wie geht es für uns als Gruppe jetzt weiter? Wir, Silvia und Tom, wollen auch über 2019 heraus Theaterarbeit anbieten und mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen weiter arbeiten. Wir wollen auch am liebsten weiter mit euch allen spielen. Daher werden wir die kommenden Wochen nutzen, um zu schauen, welche Optionen wir haben.

Am 09.06. wollen wir den Probetag mit dem Pfingst-Gottesdienst ausklingen lassen und danach mit euch, euren Eltern und allen Nahestehenden der Gruppe über die Optionen sprechen und herausfinden, was der Gruppe in Zukunft gut tut.

Bis dahin konzentrieren wir uns weiter vollständig auf das, was unsere Leidenschaft ist: das Theaterspielen!

Wir wünschen euch allen eine gute Osterzeit und freuen uns auf das Wiedersehen!

Du Schurke!

Ach, wie schön ist es, wenn das Böse so durch und durch Böse sein darf. Erinnert ihr euch noch an „die zauberhafte Welt von Oz“? Zwei gute und zwei böse Hexen – und die bösen sind dabei so durchtrieben, dass völlig klar ist, wer und was bekämpft werden muss.

Das hilft! Es gibt Orientierung und führt vor Augen, welches Handeln keine guten Absichten hat und sich gegen den Menschen wendet.

Wer ist also der Schurke im Nibelungen-Lied, von dem wir direkt wissen: „so bitte nicht“? Alle Finger in den Interpretationen zeigen sofort auf Hagen. Er, der Manager, der hinter den Kulissen die Fäden in der Hand hat, ist es, der den Figuren immer wieder leid antut.

Wir fanden, dass wird der Figur nicht gerecht. Und leider ist das „echte“ Leben auch nicht so schön in „gut“ und „böse“ zu teilen, so sehr wir uns das wünschen. Die „böse“ Banken, die „bösen“ Manager, die „bösen“ Politiker, die nur ihre Interessen im Blickfeld haben. Doch das greift zu kurz. Hinter jedem Handeln steckt eine Motivation, die manchmal komplizierter ist, als man zu Beginn meint. Wer schnell ein Urteil parat hat, wird oft diesen komplexen Umständen nicht wirklich gerecht. Denn warum handelt jemand in einer bestimmten Art und Weise? Was im echten Leben schwer zu ergründen ist, ist beim Schreiben eines Theaterstücks die zentrale Herausforderung der Figurenkonzeption. Und wir wollten Hagen anders als Hebbel* nicht vollständig diesem bösen Image überlassen. Uns hat interessiert, warum Hagen so handelt, wie er es tut, immer in der Annahme, dass er damit ein (gutes) Ziel erreichen will. Natürlich verfolgt er seine Interessen, aber wer tut es nicht? Natürlich versteht er sich im geschickten Zusammenführen von Situationen – er wäre der bessere König gewesen (und er weiß es)! Und stattdessen sieht er die Unfähigkeit König Gunthers stets vor sich und ist bemüht, Worms indirekt zu führen. Ihm ist es nicht gestattet, auf Augenhöhe mit dem Königshaus zu sprechen – der gedemütigte Bewerber Conrad von Ingelheim führt Hagen das schnell vor Augen: Wie ist noch mal gleich ihre Position am Hof?

Und so kommt eins zum anderen. Nicht jeder Plan geht auf und am Ende entsteht ein Chaos, das auch er nicht mehr beherrscht und ihn überfordert. Er macht die Fehler, die alle Figuren weiter an den Abgrund führen.

Aber eindeutig „böse“ ist er nicht. Hagen ist Täter. Und Opfer.

)* Christian Friedrich Hebbel (1813 – 1883) war ein deutscher Dramatiker und Lyriker. 1861 veröffentlicht er das Theaterstück „Die Nibelungen“, eines seiner wichtigsten Werke.

Weitere Gedanken zum Stück: Die Waffe einer Frau / Vater Rhein / Mann über Bord / Ordnung ist der Feind der Freiheit

Spielplan Vorstellung

Wir wollen weiter Geschichten erzählen! Auch wenn manch eine Frage für uns (immer) noch nicht geklärt ist – wo können/dürfen wir in Zukunft weiter spielen, bleibt Tabgha oder geht sie? – halten wir unerschütterlich fest und werden neue Projekte für 2020 und 2021 ankündigen!

Wann? Die Spielplan-Vorstellung findet im Rahmen des Tabgha Sommerfest 2019 am 07. Juli 2019 in der Jugendkirche statt. Los geht das Fest um 15 Uhr – Grillen, Bier und Gottesdienst stehen wie immer auf dem Plan. Aber zusätzlich wagen wir einen Blick zurück und zeigen die „großen Momente“ unserer Stücke aus 2017 und 2018 sowie wagen wir den Blick nach vorn.

Wir freuen uns darauf, mit euch weiter Geschichten erzählen zu dürfen und sind schon in voller Vorfreude!

Die Waffe einer Frau …

… ist eine Waffe. So verteidigt Krimhild in Xanten ihre „Kampfschule für junge Frauen“. Das Autorenteam hat sich mit dieser Stelle intensiv auseinandergesetzt. Zu Beginn stand hier ein Waisenheim, für das sich Krimhild einsetzen sollte. Typisch Frau eben, die mit „anderen“ Waffen kämpft, sozial engagiert ist und für die sanfte Veränderung steht. Genau dieses Bild befördert die gespurten Rollenbilder und bekräftigt das Trennende.

Was wäre eigentlich, wenn die Kategorie „Mann und Frau“ keine Rolle mehr spielte und es nur noch eine gebe, nämlich „den Menschen“. Das wäre das Ende des Rassismus, denn wenn Menschen nicht nach ihrer Kategorie, sondern ihres eigenen Wesens nach beobachtet würden, kollabierten alle Vorbehalte gegen „Bevölkerungsgruppen“ jeder Art.

Zu dumm, dass unser Gehirn eben gerne zur besseren Einordnung der Wahrnehmung bevorzugt mit Kategorien arbeiten kann. Wenn wir unsere Welt sauber kartographieren gewinnen wir Überblick und Sicherheit. Daher teilen wir alles und jeden in Klassen, Gattungen und Gruppen ein. Nur dass genau eben diese Gruppierungen individuell immer wieder rasch an Grenzen stoßen und man sich plötzlich in Schubladen wiederfindet, aus denen man sich nur schwer und dann auch nur unter teilweise größten Anstrengungen bis hin zur Aufopferung befreien kann. Genau dieses Dilemma erleiden nahezu alle Figuren in „Krimhild“. Egal ob Krimhild oder Brunhild, Hagen oder Gunther, Ute oder Siegfried. Alle sind gefangen in systemischen Strukturen, die eine Entfaltung ihrer Persönlichkeit schlimmstenfalls ver- aber in jedem Fall behindern.

Würde es uns verwundern, wenn Siegfried, Hagen oder Etzel eine Kampfschule bauen wollten? Wahrscheinlich nicht. Die Provokation ist, dass dies eine Frau einfordert. Und das beschreibt das eigentliche Problem, von dem wir alle ein Teil sind. Wir müssen uns bewusst werden, dass stereotypisches Denken missbraucht wird, um Machtinteressen durchzusetzen. Wir müssen anfangen, bestehende Strukturen nicht als „Natur gegeben“ anzusehen und damit Unrecht billigend in Kauf nehmen. Unterschiede gibt es zwischen allen Menschen, aber allen ist auch eines gemein: dass sie eben Menschen sind. Und in diesem Sinne: Die Waffe eines Menschen, ist eine Waffe. Ganz egal, ob es eine Frau, ein Mann, ein Nigeraner oder Ostwestfale ist.

Weitere Gedanken zum Stück:

Vater Rhein / Mann über Bord / Ordnung ist der Feind der Freiheit

Vater Rhein

Leidenschaft, Gefühl, Schauer, Abenteuer – das sind die zentralen Motive der Romantik, deren Epoche sich bis ins späte 19. Jahrhundert streckte. Die damalige Zeit war geprägt durch massive gesellschaftlich Umbrüche: also hochgradig „disruptiv“ – wie man heute sagen würde. Die Industrialisierung hat die Lebenswelt der Menschen vollständig auf den Kopf gestellt. Nützlichkeitsdenken und Rationalität waren bestimmend.

In dieser Zeit entstanden zahlreiche Mythen und Legenden zum „Vater Rhein“. Der Fluss, der nach dem römischen Flussgott Rhenus benannt ist, hat unsere Region über Jahrhunderte maßgeblich geprägt. Für die Römer war er eine Grenze, die das Wilde (den germanischen Norden) von der zivilisierten Welt trennte (den „römischen“ Süden) – eine Trennung die in Köln bis heute noch im kulturellen Gedächtnis verankert ist, indem man von der rechtsrheinischen Seite gerne als „scheel Sick“ spricht.

Als Wirtschaftsfaktor, Transportweg und Grenze diente der Rhein also seit eh und je. Die Romantiker gaben ihm seine mythische Bedeutung zurück. In der Figur des „Vaters“ verdichteten sie Mythen und Legenden in dem prägenden Strom, den auch Richard Wagner in das Zentrum seiner rund um das Nibelungenlied gesetzten Ring-Trilogie stellt.

Was macht nun als der „Vater Rhein“ in unserem Remix?

Auch heute leben wir in einer „disruptiven“ Zeit: von der industriellen, produzierenden Gesellschaft zur digitalen, vollautomatisierten. Auch heute erleben wir die Sehnsucht nach dem Fiktiven, Anti-Rationalem. Also geben wir dem Rhein eine Stimme und lassen ihn „seine“ Geschichten wiedererzählen, brechen wir zusammen mit den Walküren von Zeit zu Zeit aus dem Fluss der Geschichte aus, um einen anderen Blick auf das Erzählte zu erhalten. Denn es ist nicht die Fiktion oder das Narrativ, die unsere Systeme bedrohen, sondern der Mangel an Reflexion und Perspektivwechsel.

Weitere Gedanken zum Stück: Die Waffe einer Frau / Mann über Bord / Ordnung ist der Feind der Freiheit

Gedanken zum Stück

Deine Welt. Unser Stück. Wir suchen immer die Relevanz. Wenn wir spielen, hat das was mit unser Welt zu tun. Also. Was können uns die Nibelungen heute noch mit auf dem Weg geben?

Hier in den Beiträgen posten wir ab und zu Gedanken und Impulse, die thematisch zum Stück passen (und vielleicht auch ins Programmheft kommen). Es sind manchmal nur Schnippsel oder Ideen, nicht immer direkt am Theatertext gebunden.

Ordnung ist der Feind der Freiheit ist ein Text von Regisseur Tom zu einem der zentralen Sätze von Brunhild aus dem Stück. Der kurze Text führt in die Themenbrandbeite von Krimhild ein.

Mann über Bord! ist ein Text von Victor Hugo, über das unser Dramaturgenteam gestoplert ist. Auch wenn er sich nicht direkt auf Krimhild bezieht, so trifft die hier beschriebene Situation doch auf die Figur gut zu.

Noch mehr? Bestimmt. Bald hier auf kjg-theater.de

Mann über Bord!

Ein Mann über Bord!

Wer kehrt sich daran? Das Schiff bleibt nicht stehen. Der Wind treibt es weiter, und es muss seinen Weg fortsetzen. Es fährt vorbei.

Der Mann verschwindet in den Wellen und taucht wieder empor. Er ruft, er streckt die Arme aus, niemand hört ihn. Matrosen und Passagiere denken nur an den Sturm, der das Schiff erbarmungslos schüttelt. Keiner sieht den Verlorenen, sein unglückliches Haupt ist nur ein Punkt in der unendlichen Wasserwüste.

Wie grauenvoll ist für ihn der Anblick jenes Segels, das vor ihm flieht! Er stiert ihm nach mit der ganzen Kraft seiner Augen. Aber wehe! Es wird kleiner, immer kleiner. Eben noch war er mit den anderen Matrosen auf dem Deck und hatte teil am Leben und am Licht. Und jetzt! Er glitt bloß aus, er fiel, und nun ist es vorbei mit ihm.

Jetzt ist er ein Spielball der Fluten. Sie weichen und gleiten unter ihm dahin, steigen empor und umtosen ihn, spritzen ihre Gischt auf ihn, wirbeln ihn herum, tauchen ihn unter zeigen ihm die Finsternisse der Tiefe, umstricken seine Füße mit unentwirrbaren, unbekannten Gewächsen, dringen durch alle Poren, durch Mund und Nase in ihn hinein und wetteifern, ihn zu verhöhnen, zu verderben.

Wohl wehrt er sich gegen ihren Hass. Er bietet alle seine schwachen Kräfte auf, die unerschöpflichen Naturgewalten zu bekämpfen. Er schwimmt.

Wo ist denn das Schiff? Dahinten, kaum noch sichtbar im fahlen Dämmerlicht des Horizonts.

Der Sturm rast weiter, die Fluten dringen stärker auf ihn ein. Er richtet die Augen empor und sieht nur noch die fahlen Wolken.

Es fliegen wohl Vögel über dem unendlichen Wasserschwall, wie Engel einherschweben über all der Not des Erdendaseins; aber was können sie tun, ihm zu helfen? Das fliegt, steigt und zwitschert, und er, er stöhnt und seufzt.

Jetzt bricht die Nacht herein. Stundenlang schwimmt er schon; seine Kräfte gehen zu Ende. Das Schiff, das Ding, in dem Menschen waren, ist verschwunden. Er ist allein in der grauenvollen, dämmrigen Öde. Er sinkt. Er hebt sich, windet und krümmt sich. Er fühlt unsichtbare Mächte, die ihn hinabreißen wollen, und ruft.

Menschen sind nicht da. Wo ist Gott?

Er ruft. Um ihn und über ihm ist nur der Raum, das Wasser, Algen, Klippen, der Himmel; aber die sind alle taub und stumm.

Da packt ihn die Verzweiflung. Des unnützen Kampfes müde, entschließt er sich, zu sterben, und versinkt in die Tiefe der Vernichtung.

Diesem Mann, der hilflos auf dem Meer untergeht, gleicht auch der Unglückliche, den das erbarmungslose Gesetz zu geistiger und moralischer Vernichtung verdammt.

Auch die Seele, die, von der Gesellschaft über Bord geworfen, sich selbst überlassen bleibt, kann ihr Leben verlieren, und wer wird sie wiedererwecken?

(Victor Hugo)

Weitere Gedanken zum Stück: Die Waffe einer Frau / Vater Rhein / Ordnung ist der Feind der Freiheit