Archiv der Kategorie: Gedanken zum Stück

Robin Hood und der Mönch – die „erste“ Ballade

(aus Wikipedia.org)

Die spätmittelalterliche Ballade beginnt mit einer dichterischen Verherrlichung des Sommers. Robin Hood kann dem Begehren, wieder einmal die Messe zu hören, nicht widerstehen. Er will sich zum Kirchenbesuch nach Nottingham begeben, wird aber von seinem Getreuen Much dem Müllersohn darauf hingewiesen, dass ein solcher Ausflug auch seine Risiken berge; schließlich sind er und seine Gefährten, die „Merry Men“, alle Geächtete. Der Räuberhauptmann lehnt es aber ab, mit mindestens zwölf Bandenmitgliedern loszuziehen und begnügt sich damit, seinen treuesten Freund Little John mitzunehmen. Unterwegs veranstalten die beiden mit ihren Bögen ein Wettschießen, in dessen Verlauf Robin Hood bestreitet, dass Little John gesiegt habe. So begleicht er seine Wettschuld nicht und setzt seinen Weg zornig allein fort. In Nottingham besucht Robin Hood wie geplant den Gottesdienst in der Marienkirche, wird dabei aber von einem Mönch, den er einmal ausgeraubt hat, bemerkt und an den Sheriff verraten. Dieser kommt mit einer Übermacht und stellt Robin Hood zum Kampf.

An dieser Stelle bricht der Text des Manuskripts ab und setzt erst wieder mit der Schilderung der Erschütterung von Robin Hoods Männern ob der Nachricht von der Gefangennahme des Bandenchefs ein. Trotz seines vorangegangenen Streits mit Robin Hood zögert Little John nicht, ihm zusammen mit Much zu Hilfe zu eilen. Sie stoßen auf den verräterischen Mönch, der gemeinsam mit einem kleinen Pagen den (nicht namentlich genannten) König über die Verhaftung Robin Hoods informieren soll. Little John und Much behaupten gegenüber dem Gottesmann und dessen Begleiter, Opfer Robin Hoods geworden zu sein und ziehen mit ihnen los, angeblich, um sie zu beschützen. In der Folge töten sie nicht nur den Mönch, sondern auch seinen Pagen, obwohl dieser erst halbwüchsig ist, denn er soll nichts ausplaudern können.

Anschließend bringen Little John und Much die Briefe des getöteten Klerikers, in denen Robin Hoods Inhaftierung verkündet wird, selbst zum König, dem gegenüber sie vorgeben, dass der Mönch unterwegs gestorben sei. Der König übergibt ihnen Geschenke, sein Siegel und die Anweisung, der Sheriff solle ihm den in einstweilen sichere Verwahrung genommenen Anführer der Geächteten überstellen lassen. So ist es Little John und Much möglich, sich als vermeintliche königliche Boten auszugeben. Sie suchen den Sheriff von Nottingham auf und bringen vor, dass der Mönch nicht gekommen sei, weil ihn der König zum Abt ernannt habe. Nachdem sich der getäuschte Sheriff bei einem anschließenden Gelage betrunken hat, töten sie den Gefängniswärter und fliehen mit ihrem Bandenchef.

Nachdem dieses Befreiungsmanöver gelungen ist, führt Little John aus, dass er seinem Anführer einen guten Dienst im Austausch für dessen schlechten erwiesen habe. Dies erkennt Robin Hood an und schlägt vor, dass Little John an seine Stelle als Räuberhauptmann treten solle, was dieser zurückweist. Als dem König die Geschichte von der Flucht Robin Hoods zu Ohren kommt, ist er erzürnt, gesteht aber ein, dass Little John der treueste Mann in ganz England sei und zieht keine weiteren Konsequenzen.

Diese erste überlieferte Ballade beschreibt einen Robin Hood, der unserem heutigen Bild in so vielen widerspricht. Es ist eine der wenigen Male, dass Gegner (der Mönch) und sogar „undschuldig Beteiligte“ (der Page) erschlagen werden. Die Grundmechanik der Geschichte findet sich bei uns jedoch auch wider. Die Priorin Abbey verrät „Robin Hood“ (oder besser ihren Bruder, den sie dafür hält) an die Staatsmacht, um sich selbst aus der Schußlinie zu nehmen. Um die Mitstreiter*innen zu befreien, machen sich zwei aus der Gruppe auf, um dem König eine Überstellungsvollmacht zu entlocken, mit der sie im späteren Verlauf tatsächlich die Gefangenen befreien können.

Hier findest du die englische Version der Ballade. (https://d.lib.rochester.edu/teams/text/robin-hood-and-the-monk)

Über die Legende

Robin Hood ist eine Legende. Über Jahrhunderte werden seine Geschichten erzählt – mündlich überliefert, in Balladen verschriftlicht, als Roman, als Film, als Kunstwerk verarbeitet. Die Forschung ist sich relativ sicher: ein einziges historisches Vorbild gibt es wohl nicht. Zu unterschiedlich sind die Erzählungen, was Orte und Zeiten angeht. Auch die Prägung der Figur ist je nach Zeitalter anders – wobei sie immer eint, dass Robin Hood und seine Truppe als smarte Außenseiter immer wieder bestehende Strukturen ins Wanken bringen. Damit treffen die Geschichten einen universellen Nerv, der über die Zeiten Bestand hat.

Was heute als ziemlich sich gilt: die Erzählungen kommen aus der Mitte des „einfachen Volkes“ und damit unterscheidet sich die Erzählweise deutlich von denen der großen antiken Tragödien, die meist von gebildeten Dichtern für eine priviligierte Schicht geschrieben wurden. Die Robin Hood Erzählungen kommen aus den Maifestspielen, und es gilt als gesichert, dass sie im Mittelalter vielfach an unterschiedlichsten Orten dargebracht worden sind, meist übrigens, um Geld einzusammeln, für einen gemeinschaftlichen Zweck. Dabei konnte es mitunter auch rau und derb zugehen, mit ein Grund, warum die Maifestspiele im späteren Verlauf vom Klerus unterbunden worden sind. Dennoch hielten sich die Geschichten des Robin Hood und seiner tapferen Männer – allen voran Little John und Bruder Tuck. Erst später kam Marian als einzige weibliche Figur dazu.

Mitte des 15. Jahrundert findet die Forschung die ersten schriftlichen Aufzeichnungen. Die Ballade „Robin Hood und der Mönch“ gilt als die älteste schriftlich aufgezeichnete Ballade. Die Dichtkunst ist einfach und unterscheidet sich deutlich von denen der höfischen Dichtkunst. Die Verse reimen sich in den frühen Balladen nur auf die zweite und vierte Zeile, bei späteren Balladen ergänzt ein Reim in der dritten Zeile etwas mehr Pfiff. Auch finden sich nur selten aussagestarke Wörter und packende Metaphern. Es kann mitaus sogar vorkommen, dass reimende Verse inhaltsleer sind. All das bleibt ein Beleg dafür, dass Robin Hood eine Geschichte aus dem Volk ist. Und genau diese Perspektive verleiht der Legende offensichtlich ihren besonderen Reiz.
Die vier ältesten Balladen sind die geschichtliche Basis für unser Theaterstück. Die Handlungsmechaniken dieser Balladen finden sich bei uns wieder, indem sie miteinander verwoben eine ganz neue Perpsektive auf Robin Hood geben und das würdigen, was er schon immer war: keine historische Persönlichkeit, sondern eine künstliche Figur (doch dazu später mehr).

In den kommenden Wochen wollen wir euch hier die vier Balladen, die wir unserem Theaterstück zu Grunde gelegt haben, näher vorstellen:
Robin Hood und der Mönch (ca. 1450)
Robin Hood und der Töpfer (ca. 1500)
Robin Hood und Guy von Gisborne (ca. 1500)
Eine Heldenerzählung von Robin Hood (Ca. 1500)

Noch 3 Tage bis Medea – Reflections

Du willst dich vorab schon einmal einstimmen und dich etwas vorbereiten?

Hilfreiche Informationen (Parken, Zeiten, wichtige Hinweise) rund um deinen Besuch haben wir dir hier zusammengefasst.

Unseren Trailer kannst du gerne hier noch einmal anschauen.

Wenn du dich etwas einlesen willst, fassen wir dir hier noch einmal kleine Artikel aus der Reihe „Gedanken zum Stück“ zusammen, die wir in den letzten Monaten gepostet haben:

Machtlos gemacht zu werden, zerstört nicht deine Menschlichkeit
Skript der TV-„Comedy“-Show „Nanette“ von Hannah Gadsby (Netflix 1018) – eine starkes Plädoyer für Menschen, die sich wieder vollständig neu aufrichten mussten und über die Bedeutung von Erzählungen.

Warum Theater in der Kirche?
Gedanken zu unserer Spiritualität und warum KjG Theater genau hier in ein Gotteshaus gehört.

Über den Titelzusatz „Reflections“
Warum heißt das Stück im zweiten Teil „Reflections“ – es hat etwas mit unser Erzählweise zu tun.

Auf Reisen mit Medea
Dieser und die drei Folgebeiträge (Iolkos, Korinth und Kolchis) beleuchten noch einmal die zentralen Orte in der Handlung und geben hilfreichen Hintergrund.

Zeitlose Werte
Warum es wichtig ist, sich mit alt-griechischen Stoffen auseinanderzusetzen und welche Bedeutung sie für uns bis heute haben.

Das große Trotzdem
Warum es sich dennoch lohnt, in diesen Tagen der (Dauer-)Krisen optimistisch und zuversichtlich zu bleiben.

Machtlos gemacht zu werden, zerstört nicht deine Menschlichkeit

Wir sind besessen. Wir glauben, dass der Ruf wichtiger ist als alles andere, einschließlich der Menschlichkeit. Und wisst ihr, wer den Mantel dieser kurzsichtigen Lobhudelei auf sich nimmt? Prominente. Und Comedians sind nicht immun. Sie sind alle aus dem gleichen Holz geschnitten. Donald Trump, Pablo Picasso, Harvey Weinstein, Bill Cosby, Woody Allen, Roman Polanski. Diese Männer sind keine Ausnahmen, sie sind die Regel. Und sie sind keine Individuen, sie sind unsere Geschichten. Und die Moral unserer Geschichte lautet: „Das ist uns scheißegal. Wir kümmern uns nicht um Frauen oder Kinder. Wir kümmern uns nur um den Ruf eines Mannes.“ Was ist mit seiner Menschlichkeit? Diese Männer kontrollieren unsere Geschichten! Und doch haben sie eine abnehmende Verbindung zu ihrer eigenen Menschlichkeit, und es scheint uns nichts auszumachen, solange sie an ihrem kostbaren Ruf festhalten. Scheiß auf den Ruf. Die späte Einsicht ist ein Geschenk. (…)

Schaut, ich bin wütend. Ich entschuldige mich. Tu ich, ich entschuldige mich. Ich weiß … ich weiß, dass ein paar Leute im Raum sagen: „Nun, schau … ich glaube … sie hat die Kontrolle über ihre Spannung verloren.“ Das ist richtig. Da bin ich ein bisschen weiter gegangen. Ich bin also nicht sehr erfahren darin, Wut zu kontrollieren. Es steht mir nicht zu, auf einer Comedy-Bühne wütend zu sein. Ich soll … selbstironischen Humor machen. Die Menschen fühlen sich sicherer, wenn Männer wütende Comedy machen. Sie sind die Könige des Genres. Wenn ich es tue, bin ich eine elende Lesbe, die den ganzen Spaß und das Geplänkel ruiniert. Wenn Männer es tun, sind es Helden der Redefreiheit. (Ich liebe … Comedy mit wütenden weißen Männern. Es ist so lustig, es ist urkomisch. Sie sind bezaubernd. Warum sind sie wütend? Was geht, kleiner Kerl? Worüber sind sie wütend? Meine Güte, kann es nicht fassen. Sie sind wie die Kanarienvögel in der Mine, nicht wahr? Wenn sie es schwer haben … der Rest von uns ist weg. (…)

Wenn ich weiblich gewesen wäre, (wären bestimmte schlimme Dinge in meinem Leben) nicht passiert. Ich bin unkorrekter Weise weiblich. Ich bin unkorrekt, und das ist strafbar. Und diese Spannung, es ist deine. Ich helfe dir nicht mehr. Du musst lernen, wie sich das anfühlt, denn das… diese Spannung ist das, was Nicht-Normale die ganze Zeit in sich tragen, weil es gefährlich ist, anders zu sein! Zu den Männern … zu den Männern im Raum, ich spreche jetzt zu euch, besonders zu den weißen Männern, besonders zu den heterosexuellen weißen Männern. Zieht eure verdammten Socken hoch! Wie erniedrigend! Modeberatung von einer Lesbe. Das ist euer letzter Witz.

Mein ganzes Leben lang wurde mir nachgesagt, dass ich ein Männerhasser sei. Ich hasse Männer nicht. Ich hasse Männer nicht. Aber … es gibt ein Problem. Sehen Sie, ich glaube nicht einmal, dass Frauen besser sind als Männer. Ich glaube, Frauen sind durch Macht genauso korrumpierbar wie Männer, denn wisst ihr was, Jungs, ihr habt kein Monopol auf den menschlichen Zustand, ihr arroganten Scheißkerle. Aber die Geschichte ist so, wie ihr sie erzählt habt. Die Macht gehört euch. Und wenn ihr mit Kritik nicht umgehen könnt, keinen Witz vertragen oder mit eurer eigenen Anspannung ohne Gewalt umgehen könnt, müsst ihr euch fragen, ob ihr der Aufgabe gewachsen sind, das Sagen zu haben. Ich bin kein Männerhasser. Aber ich habe Angst vor Männern. Wenn ich die einzige Frau in einem Raum voller Männer bin, habe ich Angst. Und wenn ihr das für ungewöhnlich haltet, sprecht ihr nicht mit den Frauen in eurem Leben. Ich hasse Männer nicht, aber ich frage mich, wie sich ein Mann fühlen würde, wenn er mein Leben gelebt hätte. Weil es ein Mann war, der mich als Kind sexuell missbraucht hat. Es war ein Mann, der mich zu Tode geprügelt hat, als ich 17 war. Es waren zwei Männer, die mich vergewaltigten, als ich kaum in meinen Zwanzigern war. Sag mir, warum das in Ordnung sei? Warum war es in Ordnung, mich so aus dem Rudel zu holen und mir das anzutun? Es wäre humaner gewesen, mich einfach auf die hintere Koppel zu bringen und mir eine Kugel in den Kopf zu jagen, wenn es so ein Verbrechen ist, anders zu sein!

(…) Ich bin kein Opfer. Ich erzähle euch das, weil meine Geschichte wertvoll ist. Meine Geschichte hat einen Wert. Ich sage euch das, weil ich möchte, dass ihr wisst, ich möchte, dass ihr wisst, was ich weiß. Machtlos gemacht zu werden, zerstört nicht deine Menschlichkeit. Ihre Resilienz ist Ihre Menschlichkeit. Die einzigen Menschen, die ihre Menschlichkeit verlieren, sind diejenigen, die glauben, das Recht zu haben, einen anderen Menschen machtlos zu machen. Sie sind die Schwachen. Nachgeben und nicht brechen, das ist eine unglaubliche Kraft. Wenn du die Frau zerstörst, zerstörst du die Vergangenheit, die sie repräsentiert. Ich werde nicht zulassen, dass meine Geschichte … zerstört wird. Was ich getan hätte, um eine Geschichte wie meine zu hören. Nicht wegen der Schuld. Nicht wegen des Ansehens, nicht wegen Geld, nicht wegen Macht. Aber um sich ein weniger allein zu fühlen. Sich verbunden zu fühlen. Ich möchte, dass meine Geschichte … gehört wird. Denn ironischerweise glaube ich, dass Picasso Recht hatte. Ich glaube, wir könnten eine bessere Welt malen, wenn wir lernen würden, sie aus allen Perspektiven zu sehen, aus so vielen Perspektiven wie möglich. Denn Vielfalt ist Stärke. Unterschied ist ein Lehrer. Fürchte den Unterschied und du lernst nichts. Picassos Fehler war seine Arroganz. Er ging davon aus, dass er alle Perspektiven vertreten könne. Und unser Fehler bestand darin, die Perspektive eines 17-jährigen Mädchens zu entkräften, weil wir glaubten, dass ihr Potenzial dem seinen niemals gleichkommen würde. Die späte Einsicht ist ein Geschenk. (…) Ein 17-jähriges Mädchen ist einfach nie, nie, nie in ihren besten Jahren! Ich bin jetzt in meinen besten Jahren! Würdest du dich mit mir messen?

Niemand würde es wagen … sich mit mir zu messen, denn ihr wisst alle … es gibt nichts Stärkeres als eine gebrochene Frau, die sich wieder aufgebaut hat.

Auszug aus Hannah Gadsby, Nanette, 2018, Netflix
Aus dem Englischen übersetzt. Original Transkript der gesamten Performance kann hier gefunden werden.

Warum Theater in der Kirche?

KjG Theater ist stolz auf das „K“ – Katholisch. „Katholisch“ bedeutet wörtlich übersetzt „das Ganze betreffend“. Getreu unserem Motto „Unser Stück. Deine Welt.“ greifen wir mit unseren Stücken immer wieder große gesellschaftliche und moralische Themen auf, die universelle Bedeutung haben. Bei Medea geht es neben der Frage nach dem Umgang mit „Fremdheit“ auch um die Bedeutung von Narrativen, Deutungsrahmen. Unser christlicher Glaube gibt viele Antworten auf brennende Fragen der Gegenwart. Als Gruppe setzen wir uns mit den Themen aktiv auseinander und suchen nach Antworten, auch auf Basis der christlichen Lehre und Spiritualität.

Natürlich ist das anders, als ein Krippenspiel. Aber die Themen berühren uns als junge Christen und wir bringen sie mit unserer Kreatvität und Spielfreude direkt vor Gott. Dass das nicht immer einem tradiionellen Kirchenbild entspricht wissen wir. Und finden das auch gut so. Denn insbesondere in den herausforderdenden Zeiten für Kirche und Christen ist es elementar zu zeigen, dass Kirche vielseitig und farbenfroh ist und sich Spiritualität ganz unterschiedlich ausdrücken kann, ohne dabei beliebig zu werden.

Daher sind wir stolz darauf direkt in der Kirche zu spielen. Der Raum steht im Dialog mit unserem Stück – und wird ganz nebenbei zu einem „Wohnzimmer“ für unsere Gruppe. Aktiv in Kirche zu sein, kann überraschend anders sein. Darin sehen wir eine Chance für die ganze, allumfassende – eben katholische – Kirche.

Was bedeutet „Reflections“?

„Medea – Reflections“ heißt unser Stück. Doch wofür steht Reflections? Wörtlich übersetzt steht es für ‚Überlegungen‘, ‚Reflexionen‘ oder ‚Spiegelbild‘. Die Zuschauer*innen tauchen mit Medea ein in ihre Erinnerungswelt ein. In Rückblicken setzt sich diese wie Fragmente zusammen und Medea erlebt die entscheidenden Stationen der tragischen Stationen, die sie am Ende in der Verbannung geführt haben. Medea reflektiert, beobachtet sich selbst, sieht ihr Spiegelbild.

Die Erinyen, auch bekannt als Rachegöttinen oder Furien, suchen als personalisiertes Gewissen Medea in ihren Erinnerungen heim. Sie ringen mit ihr und den Schlüsselfiguren, denen Medea begegnet ist. Sie begleiten das ganze Stück und immer wieder springen wir zwischen den Erinnerungen der Vergangenheit und den Gegenwarts-(Alb)-Träumen einer beinah zerstörten Medea.

Die Erzählweise ermöglicht es, die Geschichte zu raffen und in schnellen Bildfolgen die Schlüssel-Ereignisse spannend in Szene zu setzen. Somit verspricht „Medea-Reflections“ in der Tradition von KjG Theater, dass „alte Klassiker“ in moderner, jugendlicher Frische auf die Bühne gebracht werden!

Korinth – die Gewaltige

Die Gewaltige. Eine zarte Landzunge trennt die beiden Meere – den Sayonischen Golf (an den auch Athen angrenzt) und den Golf von Korinth (der das nördliche griechische Festland und die Pelepones im Süden trennt). Ganz in ihrer Nähe – ein mächtiger Tafelberg, der zudem über zahlreiche Quellen verfügt. Kein Wunder, dass Korinth eine der ältesten dokumentierten Siedlungen in Griechenland ist. Die Festung auf dem Tafelberg (Akrokorinth) ist eine beeindruckende Machtaussage, die von Nah und Fern wahrgenommen werden musste und war nur schwer einzunehmen. Bis weit in das Mittelalter hinein wurde von hier die Pelepones dominiert. Wer einmal heute in den Überresten der Anlage war, wird eine Ahnung haben, wie sich Akamas der Astronom und Berater des Königs in unserem Stück gefühlt haben muss, hier weit oben über allen Gipfeln der Umgebung mit einer Weitsicht, die ihm jede Bewegung aus jeder Himmelsrichting über Kilometer hinweg ermöglichte.
Aufgrund seiner strategischen Lage war es einer der wichtigsten Handelsplätze in der Antike. Gewaltige Stadtmauern haben den Hafen im Norden und die Festung umgeben, weitläufige Plätze, stattliche Häuser – eine wohlhabende Stadt, die keinen Hehl daraus macht, ihren Reichtum offen zur Schau zu stellen.
Nur zu verständlich, dass Iason nach dem Debakel in Iolkos hier eine neue Chance witterte, seine Reputation aufzubessern. Eine strategische Hochzeit mit dem Königshaus würden ihm ganz neue Optionen auf Macht ermöglichen, wenn er denn eines Tages König Kreon auf den Thron der Macht folgt. Und nur zu verständlich, dass die Kolcher in dieser Umgebung, in der sie außerhalb der Stadtmauern in einfachsten Behausungen leben mussten und täglich den Komfort und den Luxus vorgeführt bekamen, der für sie unerreichbar blieb, nie wirklich eine neue Heimat finden konnten.

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Kolchis – die Fremde

Die Fremde. Am Ende des Schwaren Meeres gelegen, in der schroffen, wenngleich durchaus fruchtbaren Gegend des Kaukasus. Legendär ist Kolchis für die antike Goldgewinnung und daher wohl auch Ziel zahlreicher Beutefahrten. Wahrscheinlich wurde dort das Gold aus den Flüssen mit Widderfellen gewaschen – die mythologische Grundlage für das „Goldene Vlies“. Kolchis war keine Stadt sondern bezeichnete streng genommen eine Landschaft. Rund um den Medea Mythos entwickelten sich entsprechende Fiktionen um diesen Ort am „Ende“ des Schwarzen Meeres.

Obgleich archäologisch Steinbauten in Kolchischen Städten nachweisbar waren, hält sich in den Erzählungen eher die einfache Holzbauweise „der Stadt“. Überhaupt ist Kolchis als Gegenstück zur griechsichen Stadt zu verstehen und als solches „barbarisch“ eingestuft – also nach Auffassung der Griechen auf einer neideren Kulturstufe. Die Bezeichnung „Barabarentum“ dient innerhalb des heleozentrischen Weltbilds (das auch unsere Kultur bis heute maßgeblich prägt) als Abgrenzung und Abwertung für die Andersartigkeit fremder Kulturen.

Die Fremde also. Wie können wir uns diese Stadt vorstellen, die den Argonauten so unvorstellbar anders vorgekommen sein muss. Fremde Gerüche, fremde Speisen, fremde Kleidung, fremder Schmuck – und allen voran fremde Bräuche, die, wenn nicht richtig eingeordnet, grausam anmuten – wie die Himmelbestattung, die im Kaukaus üblich war – Tote wurden in Teile gehackt und den Vögeln übergeben. Da der Boden zu felsig und das Holz zu kostbar waren, war dies eine opportune Möglichkeit, die Verstorbenen würdevoll zu begraben. Heute noch findet sich diese Tradition beispielsweise im Himalaya. Was auf uns fremd wirkt, ist für den Fremden vertraut – und dem Fremden geht es genauso andersherum.

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Iolkos – Die Unerinnerte

Die Unerinnerte. Iolkos – die Stadt, über die viel gesprochen wird, aber die keine Erinnerung wert ist. Es ist die Geburtsstadt von Iason. Sein Vater Aison war hier König und Iason hat den Anspruch auf den Thron. Doch durch die Fehde von Pelias wurde Aison und seine Familie ausgelöscht, nur Iason überlebte, gerettet von der Amme, weit weg gebracht zu Cheiron, dem Zentaur, einem strengen Lehrer. Dort soll Jason auf seine Aufgaben vorbereitet werden – eine Schule für Helden. Und Cherion ist weise – Helden müssen nicht nur Kampfmaschinen sein, sondern das Leben lesen können. Wie sehr er hier mit seinem Schüler gescheitert ist. Die Aussicht auf den Thron, die Aussicht auf Macht, die Aussicht ganz oben an der Pyramide zu stehen, das trieb Iason an. Und so stürzte er sich mit den anderen Helden und einer Heldin in „das größte Abenteuer der Zeit“. Wie sehr muss Pelias sich gefreut haben, als die Unternehmung Argo endlich die Gestade von Iolkos verließ. Die Gewissheit, dass er es nicht schaffen würde und selbst wenn, die Gewissheit, dass er bis dahin die Macht so ausgebaut hat, dass selbst wenn er zurück käme, er keine Chance haben würde, den Anspruch durchzusetzen.
Iolkos, eine Stadt im südlichen Thessalien, in der Nähe vom heutigen Volos gelegen, findet außer in der Agronautensage keine weitere Erwähnung in anderen Mythen. Wie können wir uns die Stadt vorstellen? So wie die meisten antiken Städte: wahrscheinlich eine Akropolis mit einer Festungsanlage aus Zyklopenmauer, die die Stadt mit Hafen übersieht. Sie ist es nicht weiter wert von Medea erinnert zu werden, denn das, was ihr hier widerfährt, passt nunmehr in ihr Bild von Iason, der zwar ausgezogen ist, der gößte Held der Geschichte zu werden, doch am Ende an seiner Unfähigkeit das Leben zu lesen gescheitert ist.

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Auf Reisen mit Medea

In den kommenden Tagen wollen wir dich ein wenig auf unser Stück einstimmen und dir vorab die Orte der Handlung vorstellen.

Orte der Handlung sind Städte, in denen Könige herrschen. Einen „griechsichen Staat“, wie wir ihn heute kennen, gab es nicht. Das, was wir „griechisches Reich“ nennen, waren Stadt-„Staaten“, die teilweise untereinander nicht unterschiedlicher sein konnten (man denke an die Rivalität von Athen – der „Wiege der Demokratie“ – und Sparta, und wie beide Städte auch kulturell kaum unterschiedlicher hätten sein können). Und das Leben in diesen „Stadt-Staaten“ ist auch grundsätzlich anders, als wir es in dem heutigen modernen Nationalstaat kennen. Die Bewohner*innen konnten sich frei zwischen den Städten (ohne Pässe) bewegen und ihre Geschäfte betreiben, die Staatsmacht konnte zwar Fron-Abgaben einfordern, aber das „normale“ Leben, war meist unabhängig von dem Leben in den Palästen und Königshäusern, solange nicht ein Krieg auf der Tagesordnung stand.
Gab es Medea wirklich? Ist die Geschichte der Argonauten wahr? Gab es Kreon und Kreusa wirklich? An den griechischen Mythen ist mehr wahrer Kern, als wir es heute glauben mögen. Das Konzept einer rein „fiktiven Erzählung“ (wie zum Beispiel Fantasy Literatur) ist eher neuzeitlich. Die großen grieischen Mythen und Sagen sind Erzählungen, die, wie das Wort schon sagt, mündlich überliefert wurden. Und jeder weiß, dass ein Fisch, den man geangelt hat, mit jeder neuen Erzählung etwas größer werden kann und die Umstände immer weiter ausgeschmückt wurden. Aber der wesentliche Kern, der Fisch, ist immer noch Ausgangslage. Und insofern kann man davon ausgehen, dass sich irgendwann vor vielen hundert Jahren, solche Gegebenheiten zugetragen haben.

Die drei wichtigsten Handlungsorte der Sage:

Iolkos – die Unerinnerte
Kolchis – die Fremde
Korinth – die Gewaltige